Die Diagnose des Guillain-Barré-Syndroms (GBS) wird anhand der Anamnese, der klinischen Befunde, der Elektroneurographie sowie Laboruntersuchungen gestellt. Erforderliche Kriterien sind die schnell fortschreitende Muskelschwäche in Armen und Beinen, die sich nicht über 4 Wochen hinaus verschlechtert und der verminderte/fehlende Muskeleigenreflex.
Gleichzeitig müssen andere Ursachen für die Symptome differenaldiagnostisch ausgeschlossen werden.
Mehr zur CIDP
Die akute entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP) wird verallgemeinert auch als GBS bezeichnet, da sie für die meisten der GBS-Fälle verantwortlich ist. Darüber hinaus gibt es axonale Subtypen (AMAN, AMSAN) und regionale Varianten (z.B. MFS) des GBS:3,4
Häufigkeit
Symptome
Autonome Dysfunktion
Auto-antikörper
AIDP
Akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropahtie
In Deutschland häufig, in der westlichen Welt bei Erwachsenen und Kindern häufigste Form des GBS: 90% der Fälle in Europa und Nordamerika.
Progrediente Muskelschwäche Sensible Defizite Abgeschwächte Muskeleigenreflexe Hirnnervausfälle
häufig
AMAN
Akute motorische axonale Neuropathie
In Deutschland selten AMAN und AMSAN machen in den westlichen Ländern nur 3-5% der GBS-Fälle aus. In Asien sowie Lateinamerika sind sie mit 30-50% deutlich häufiger.4
Bei Kindern in Europa treten AMAN-Fälle mit etwa 10% öfter auf.5
Progrediente Muskelschwäche Erloschene Muskeleigenreflexe Hirnnervausfälle seltener als bei AIDP Häufig nach C. jejuni-Infektion
selten
- GM1-IgG
- GQ 1a-IgG
AMSAN
Akute motorische und sensorische axonale Neuropathie
In Deutschland selten AMAN und AMSAN machen in den westlichen Ländern nur 3-5% der GBS-Fälle aus. In Asien sowie Lateinamerika sind sie mit 30-50% deutlich häufiger.4
Bei Kindern in Europa treten AMAN-Fälle mit etwa 10% öfter auf.5
Häufig schwere progrediente Muskelschwäche Ausgeprägte sensible Defizite Abgeschwächte oder erloschene Muskeleigenreflexe Hirnnervausfälle
selten
- GM1-IgG
- GQ 1a-IgG
MFS
Miller-Fisher Syndrom Spektrum
In Deutschland selten
- Ophtalmologie
- Areflexie
- Ataxie
- Doppelbilder
- Anisokorie
- Ptose
- Selten Paresen oder sensible Defizite
selten
GQ 1b-IgG
Diagnostische Kriterien im Überblick
Gemäß der EAN/PNS-Leitlinie, modifiziert nach van Doorn7
Wie bei betroffenen Erwachsenen kann die Diagnose des GBS bei Kindern nicht aufgrund eines klinischen bzw. paraklinischen Parameters gestellt werden. Es ist vielmehr die Konstellation der Befunde und der Ausschluss von Differentialdiagnosen, die eine GBS-Diagnose sicherstellen können. Es gelten die altersunspezifischen Diagnosekriterien wie sie auch bei Erwachsenen verwendet werden.
Elektrophysiologische Diagnostik beim GBS
Wenn aufgrund der klinischen Symptome der Verdacht eines GBS besteht, kann die Elektrophysiologie in der frühen Diagnose von GBS hilfreich sein. Dazu gehören Elektroneurographie und Elektromyographie, die die Informationen zu funktionellen Schäden (Demyelinisierung und Denervierung) der Nerven liefern können.






APB=abductorpollicis brevis. EDB=extensor digitorum. ER=extensor retinaculum. Erb=Erb´scherPunkt.
Elektrophysiologische Diagnostik eines GBS-Patienten, modifiziert nach Berciano et al., 20208
Abbildung (modifiziert nach Berciano et al. 2019) zur Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus medianus und des Nervus fibularis eines Patienten mit akuter entzündlicher demyelinisierender Polyneuropathie (AIDP). Messungen im Nervus medianus an Tag 2, 11 und 28 zeigen zusammengfasst jeweils eine Zunahme der Dauer und eine Abnahme der Amplitude des proximalen versus distalen Muskelsummenaktionspotentials (MSAP) und einen inkompletten Leitungsblock. Messungen im Nervus fibularis an Tag 2, 11 und 28 zeigen zusammengefasst eine Verlägerung der distal motorischen Latenz (DML) und eine Reduktion der motorischen Nervenleitgeschwindigkeit.8
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Elektroneurographie
Die Elektroneurographie (ENG) wird zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit in motorischen und sensorischen Nervenbahnen genutzt und gibt somit Auskunft über Schädigungen an der Myelinscheide (Demyelinisierung) und axonale Schädigungen. Bei einer Demyelinisierung ist u.a. die Nervenleitgeschwindigkeit verlangsamt, es zeigen sich Leitungsblöcke und eine Zunahme der distalen motorischen Latenz (DML). Die Elektrodiagnostik wird in der Frühdiagnose von GBS empfohlen und kann bei der Differentialdiagnose hilfreich sein. Allerdings schließen normale elektrodiagnostische Befunde in der ersten Woche der Diagnose einen GBS nicht aus und eine weitere Untersuchung zu einem späteren Zeitpunkt kann hilfreich sein, da Auffälligkeiten sich erst über mehrere Wochen entwickeln.
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Elektroneurographie
Die Elektromyographie (EMG) dient vor allem der Differentialdiagnose gegenüber anderen neuromuskulärer Erkrankungen, bei denen primär Muskelschäden und nicht Nervenschäden vorliegen.
Diagnose-unterstützende Untersuchungen beim GBS
Blutuntersuchung sind bei der Diagnose des Guillain-Barré-Syndroms nicht vorgesehen. Eine Untersuchung des Liquors kann helfen, wenn klinische Symptome und Elektrophysiologie zu keiner klaren GBS-Diagnose führen.
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Liquoruntersuchung
Zur GBS-Diagnostik und zur Abgrenzung gegenüber anderen Neuropathien empfiehlt sich eine Analyse der Zellzahl und Eiweißmenge im Liquor.
Bei einem Teil der GBS-Patient:innen liegt eine zyto-albuminäre Dissoziation vor, also ein erhöhter Eiweißgehalt bei normaler Zellzahl. Die Zellzahl ist meist normal, kann manchmal minimal bis <50/mm³ und selten darüber hinaus erhöht sein. Die Liquoruntersuchung wird zur Differentialdiagnose oder bei unklarer GBS-Diagnose empfohlen. -
Blutwerte
Laboruntersuchungen des Blutes werden in der GBS-Diagnostik nicht routinemäßig eingesetzt. Es gibt keine etablierten Biomarker, allerdings sind manchmal Antikörper gegen bestimmte Ganglioside nachweisbar. Dies kann eine GBS-Diagnose stützen, wenn klinische und elektrophysiologische Kriterien nicht eindeutig sind.
90 % der Patient:innen mit einer Erkrankung des MFS-Spektrums weisen Auto-Antikörper gegen das Gangliosid GQ1b auf. Bei den selteneren GBS-Varianten AMAN und AMSAN lassen sich nur in der Hälfte aller Fälle typische Antikörper etwa gegen GM1 und GD1a nachweisen. Deshalb sollte bei ungünstigen Verläufen auf solche Antikörper getestet werden. Bei Kindern ist eine Bedeutung dieser Antikörper als Prognosefaktor noch nicht erwiesen.
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Infektiologische Diagnostik
Mikrobiologische und serologische Untersuchungen auf konkrete Krankheitserreger haben bei dem Guillain-Barré-Syndrom zwar keine therapeutische Auswirkung, allerdings können sie manchmal hilfreich sein. So deutet der Nachweis des Durchfallerregers Campylobacter jejuni wahrscheinlich, wenngleich nicht ausschließlich, auf die AMAN-Variante von GBS hin.
Serologische Untersuchung bei GBS-Patient:innen haben gezeigt, dass Infektionen mit Campylobacter jejuni, dem Cytomegalievirus (CMV) und Mycomplasma pneumoniae signifikant häufiger als in der Kontrollgruppe vorkommen. Das spricht für einen kausalen Zusammenhang. Bei Kindern lässt sich häufiger als bei Erwachsenen eine vorangegangene Infektion oder Impfung als potentieller Auslöser für GBS identifizieren.
Betont werden sollte allerdings, dass das absolute Risiko, etwa nach einer Campylobacter jejuni-Infektion an GBS zu erkranken, einer epidemiologischen Studie zufolge – trotz 100-fach erhöhtem relativen Risiko – mit nur 30,4 Erkrankungen pro 100.000 Infektionen eher gering ist.
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Bildgebende Verfahren
Die Magnetresonanztomographie (MRT) und Sonographie werden zumeist eingesetzt, um andere ähnliche Erkrankungen auszuschließen.
Bei Bedarf können mithilfe der MRT und der Sonographie die krankhaften Veränderungen an den Nervenwurzeln sichtbar gemacht werden. Sie werden manchmal eingesetzt, wenn Klinik und Elektrophysiologie keine eindeutige GBS-Diagnose erlauben.
Immer mehr Publikationen berichten von Kindern mit GBS, bei denen keine Kontrastmittelaufnahme in den Nervenwurzeln beobachtet wurde, während die Liquor- und neurographische Untersuchungen keine Auffälligkeiten zeigten.
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Neurobiopsien
Mit Biopsien lässt sich die Demyelinisierung der Nervenzellen direkt nachweisen, allerdings sind sie aufwändig und für die Patient:innen sehr unangenehm. Sie sind nur selten notwendig und werden nur durchgeführt, wenn sich anhand der klinischen und elektrodiagnostischen Kriterien, bildgebenden Verfahren und Laboruntersuchungen keine eindeutige Diagnose stellen lässt.
Differentialdiagnose1
Bei der Differentialdiagnose werden alternative Diagnosen anderer Polyneuropathien oder andere Ursachen für die aufgetretenen Nervenschädigungen ausgeschlossen, um die Diagnose eines GBS sicherzustellen. Eine korrekte Diagnose ist relevant für die therapeutische Entscheidung und den Erfolg des therapeutischen Ansprechens. Der Ausschluss erfolgt meist per klinischer und nur selten durch eine erweiterte Diagnostik.
Andere Ursache für GBS-ähnliche Symptome und Entzündungen der peripheren Nerven, die ausgeschlossen werden müssen:
- intrakraniell: Hirnstammencephalitis
- im Rückenmark: Infarkt, Myelitis, Kompression
- an den Vorderhornzellen des Rückenmarks: Poliomyelitis durch Polioviren und andere Enteroviren wie das West-Nil-Virus
- an den Nervenwurzeln: Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP)
- an peripheren Nerven: Metabolische Störungen wie Hypermagnesiämie oder Hypophosphatämie, Zeckenparalyse mit aufsteigender schlaffer Lähmung, medikamenteninduzierte Neuropathie etwa durch Platinverbindungen, Porphyrie
- an den neuromuskulären Endplaten: Botulismus, Vergiftung mit Organophosphaten (Insektizide und chemische Waffen)
- an den Muskeln: Critical-Illness-Polyneuropathie und periodische Lähmungen
GBS
akute immunvermittelte Erkrankung des peripheren Nervensystems
schnell fortschreitende Muskelschwäche in Armen und Beinen oder anderer Stellen bei regionalen GBS-Varianten
Symptomverschlechterung < 4 Wochen
fehlende oder verminderte Muskeleigenreflexe
CIDP
chronische immunvermitelte Erkrankung des peripheren Nervensystems
fortschreitende oder rezidivierende, symmetrische, proximale und distale Muskelschwäche der oberen und unteren Extremitäten und Sensibilitätsstörungen an mindestens zwei Extremitäten
Symptomverschlechterung > 8 Wochen
fehlende oder verminderte Muskeleigenreflexe
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GBS
schnell fortschreitende und symmetrische Muskelschwäche der Extremitäten über einen kurzen Zeitraum, oft nicht fokal und weniger selektiv
Symptomverschlechterung innerhalb der ersten 4 Wochen nach Krankheitsbeginn, gefolgt von einer Phase mit gleichbleibendem Schweregrad der Symptomatik und einer Phase der Symptombesserung (mehrere Monate bis Jahre)
häufige sensorische Störungen, abgesehen vom rein motorischen GBS
MMN
langsam fortschreitende, fokale, asymmetrische atrophische Paresen der Extremitäten im Versorgungsgebiet von mindestens zwei Nerven;
wenn atrophische Paresen und weiteren Zeichen im Versorgungsgebiet nur eines Nervs vorhanden sind, kann nur eine mögliche Diagnose gestellt werden
Entwicklung der Paresen seit mindestens einem Monat (in der Regel länger als sechs Monate)
keine objektiven sensorischen Anomalien mit Ausnahme von leichten Anomalien des Vibrationsempfindens in den unteren Extremitäten
Mehr zu MMN
- S1-Leitlinie Diagnostik bei Polyneuropathien. Verfügbar unter https://dnvp9c1uo2095.cloudfront.net/cms-content/030067_LL_Polyneuropat…. Letzter Zugriff: 14.01.2025.
- Van den Bergh PYK. et al. Eur J Neurol. 2021;28(11):3556–3583.
- Flink GR. et al. SOPs Neurologie 2018. Verfügbar unter https://www.thieme-connect.de/products/ebooks/lookinside/10.1055/b-0038…. Letzter Zugriff: 14.01.2025.
- Orphanet, Seltene Krankheiten. Verfügbar unter: https://www.orpha.net/de/disease. Letzter Zugriff: 14.01.2025.
- Gesellschaft für Neuropädiatrie: Diagnose und Therapie des Guillain-Barré Syndroms im Kindes- und Jugendalter, 4. Auflage, Version 1.0, verfügbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/022-008.html. Letzter Zugriff: 05.02.2025
- Mansour M. et al. Clin Case Rep. 2020 Jul 24;8(11):2199-2203.
- Van Doorn, Pieter A et al. Eur J Neurol. 2023;30(12): 3646-3674.
- Berciano, José et al. Clinical neurophysiology practice Nov. 2019;5:1-9.
C-APROM/DE/IG/0058