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GBS-Diagnose laut Leitlinien1,2

Die Diagnose des Guillain-Barré-Syndroms (GBS) wird anhand der Anamnese, der klinischen Befunde, der Elektroneurographie sowie Laboruntersuchungen gestellt. Erforderliche Kriterien sind die schnell fortschreitende Muskelschwäche in Armen und Beinen, die sich nicht über 4 Wochen hinaus verschlechtert und der verminderte/fehlende Muskeleigenreflex.
Gleichzeitig müssen andere Ursachen für die Symptome differenaldiagnostisch ausgeschlossen werden.

CAVE! 13-18% der CIDP-Patient:innen haben einen akuten AIDP-ähnlichen Krankheitsbeginn, mit überlappenden klinischen und elekrophysiologischen Symptomen wie GBS. Bisher gibt es keine gesichterten Unterscheidungsmerkmale, jedoch unterscheiden sie sich auf die Auswahl der Therapiemöglichkeiten.2,6

Mehr zur CIDP

Die akute entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP) wird verallgemeinert auch als GBS bezeichnet, da sie für die meisten der GBS-Fälle verantwortlich ist. Darüber hinaus gibt es axonale Subtypen (AMAN, AMSAN) und regionale Varianten (z.B. MFS) des GBS:3,4

Häufigkeit

Symptome

Autonome Dysfunktion

Auto-antikörper

AIDP

Akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropahtie

In Deutschland häufig, in der westlichen Welt bei Erwachsenen und Kindern häufigste Form des GBS: 90% der Fälle in Europa und Nordamerika.

Progrediente Muskelschwäche Sensible Defizite Abgeschwächte Muskeleigenreflexe Hirnnervausfälle

häufig

AMAN

Akute motorische axonale Neuropathie

In Deutschland selten AMAN und AMSAN machen in den westlichen Ländern nur 3-5% der GBS-Fälle aus. In Asien sowie Lateinamerika sind sie mit 30-50% deutlich häufiger.4
Bei Kindern in Europa treten AMAN-Fälle mit etwa 10% öfter auf.5

Progrediente Muskelschwäche Erloschene Muskeleigenreflexe Hirnnervausfälle seltener als bei AIDP Häufig nach C. jejuni-Infektion

selten

  • GM1-IgG
  • GQ 1a-IgG

AMSAN

Akute motorische und sensorische axonale Neuropathie

In Deutschland selten AMAN und AMSAN machen in den westlichen Ländern nur 3-5% der GBS-Fälle aus. In Asien sowie Lateinamerika sind sie mit 30-50% deutlich häufiger.4
Bei Kindern in Europa treten AMAN-Fälle mit etwa 10% öfter auf.5

Häufig schwere progrediente Muskelschwäche Ausgeprägte sensible Defizite Abgeschwächte oder erloschene Muskeleigenreflexe Hirnnervausfälle

selten

  • GM1-IgG
  • GQ 1a-IgG

MFS

Miller-Fisher Syndrom Spektrum

In Deutschland selten

  • Ophtalmologie
  • Areflexie
  • Ataxie
  • Doppelbilder
  • Anisokorie
  • Ptose
  • Selten Paresen oder sensible Defizite

selten

GQ 1b-IgG

Diagnostische Kriterien im Überblick

Gemäß der EAN/PNS-Leitlinie, modifiziert nach van Doorn7

Erforderliche Merkmale

  • Fortschreitende Schwäche der Arme und Beine (Schwäche kann in den Beinen beginnen oder bei regionalen GBS-Varianten können andere Stellen betroffen sein)
  • Fehlende oder abgeschwächte Muskeleigenreflexe
  • Fortschreitende Verschlechterung nicht länger als 4 Wochen

Stützende Merkmale

  • Vorwiegend symmetrische Symptomerscheinungen
  • Relative milde/fehlende sensible Symptome
  • Hirnnervenbeteiligung (besonders faziale Parese)
  • Autonome Dysfunktion
  • Ateminsuffizienz (durch Muskelschwäche)
  • Schmerzen (muskulär/radikulär in Rücken oder Extremitäten)
  • Kürzliche Infektion (<6 Wochen) (möglicherweise auch chirurgischer Eingriff)

Stützende Laborbefunde

  • Liquor cerebrospinalis: erhöhtes Eiweiß; normales Eiweiß schließt die Diagnose nicht aus, Leukozyten (normalerweise <50/μl)
  • Blut: Anti -GQ1b-AK normalerweise positiv beim Miller-Fisher-Syndrom
  • Elektrodiagnostik: Neurographie konsistent mit einer Polyneuropathie. Neurographie kann während der ersten Tage der Erkrankung normal sein

Befunde, die ein GBS weniger wahrscheinlich machen

  • Asymmetrische Schwäche (ausgeprägt oder persistierend)
  • Ausgeprägte Atemschwäche bei Beginn bei milder Extremitätenschwäche
  • Vorherrschende sensible Störungen bei Beginn (allerdings oft Parästhesien) bei milder Schwäche
  • Krankheitsbeginn
  • Sensibles Niveau oder positive Pyramidenzeichen
  • Hyperreflexie (initiale Hyperreflexie schließt GBS nicht aus)
  • Blasen-/Mastdarmstörung (schließt GBS nicht aus)
  • Bauchschmerzen oder Erbrechen
  • Nystagmus

Wie bei betroffenen Erwachsenen kann die Diagnose des GBS bei Kindern nicht aufgrund eines klinischen bzw. paraklinischen Parameters gestellt werden. Es ist vielmehr die Konstellation der Befunde und der Ausschluss von Differentialdiagnosen, die eine GBS-Diagnose sicherstellen können. Es gelten die altersunspezifischen Diagnosekriterien wie sie auch bei Erwachsenen verwendet werden.

In der aktuellen S1-Leitlinie der DGN (Deutsche Gesellschaft für Neurologie) sind die Diagnosekriterien für GBS konkretisiert worden. Das spezifizierte diagnostische Vorgehen soll helfen, GBS-Betroffene schneller zu identifizieren.

Elektrophysiologische Diagnostik beim GBS

Wenn aufgrund der klinischen Symptome der Verdacht eines GBS besteht, kann die Elektrophysiologie in der frühen Diagnose von GBS hilfreich sein. Dazu gehören Elektroneurographie und Elektromyographie, die die Informationen zu funktionellen Schäden (Demyelinisierung und Denervierung) der Nerven liefern können.

APB=abductorpollicis brevis. EDB=extensor digitorum. ER=extensor retinaculum. Erb=Erb´scherPunkt.

Elektrophysiologische Diagnostik eines GBS-Patienten, modifiziert nach Berciano et al., 20208

Abbildung (modifiziert nach Berciano et al. 2019) zur Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus medianus und des Nervus fibularis eines Patienten mit akuter entzündlicher demyelinisierender Polyneuropathie (AIDP). Messungen im Nervus medianus an Tag 2, 11 und 28 zeigen zusammengfasst jeweils eine Zunahme der Dauer und eine Abnahme der Amplitude des proximalen versus distalen Muskelsummenaktionspotentials (MSAP) und einen inkompletten Leitungsblock. Messungen im Nervus fibularis an Tag 2, 11 und 28 zeigen zusammengefasst eine Verlägerung der distal motorischen Latenz (DML) und eine Reduktion der motorischen Nervenleitgeschwindigkeit.8

  • Illustration-Nervenzelle

    Elektroneurographie

    Die Elektroneurographie (ENG) wird zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit in motorischen und sensorischen Nervenbahnen genutzt und gibt somit Auskunft über Schädigungen an der Myelinscheide (Demyelinisierung) und axonale Schädigungen. Bei einer Demyelinisierung ist u.a. die Nervenleitgeschwindigkeit verlangsamt, es zeigen sich Leitungsblöcke und eine Zunahme der distalen motorischen Latenz (DML). Die Elektrodiagnostik wird in der Frühdiagnose von GBS empfohlen und kann bei der Differentialdiagnose hilfreich sein. Allerdings schließen normale elektrodiagnostische Befunde in der ersten Woche der Diagnose einen GBS nicht aus und eine weitere Untersuchung zu einem späteren Zeitpunkt kann hilfreich sein, da Auffälligkeiten sich erst über mehrere Wochen entwickeln.

  • Elektromyographie

    Elektroneurographie

    Die Elektromyographie (EMG) dient vor allem der Differentialdiagnose gegenüber anderen neuromuskulärer Erkrankungen, bei denen primär Muskelschäden und nicht Nervenschäden vorliegen.

Diagnose-unterstützende Untersuchungen beim GBS

Blutuntersuchung sind bei der Diagnose des Guillain-Barré-Syndroms nicht vorgesehen. Eine Untersuchung des Liquors kann helfen, wenn klinische Symptome und Elektrophysiologie zu keiner klaren GBS-Diagnose führen.

  • Liquoruntersuchung

    Liquoruntersuchung

    Zur GBS-Diagnostik und zur Abgrenzung gegenüber anderen Neuropathien empfiehlt sich eine Analyse der Zellzahl und Eiweißmenge im Liquor.
    Bei einem Teil der GBS-Patient:innen liegt eine zyto-albuminäre Dissoziation vor, also ein erhöhter Eiweißgehalt bei normaler Zellzahl. Die Zellzahl ist meist normal, kann manchmal minimal bis <50/mm³ und selten darüber hinaus erhöht sein. Die Liquoruntersuchung wird zur Differentialdiagnose oder bei unklarer GBS-Diagnose empfohlen.

  • Liquoruntersuchung

    Blutwerte

    Laboruntersuchungen des Blutes werden in der GBS-Diagnostik nicht routinemäßig eingesetzt. Es gibt keine etablierten Biomarker, allerdings sind manchmal Antikörper gegen bestimmte Ganglioside nachweisbar. Dies kann eine GBS-Diagnose stützen, wenn klinische und elektrophysiologische Kriterien nicht eindeutig sind.

    90 % der Patient:innen mit einer Erkrankung des MFS-Spektrums weisen Auto-Antikörper gegen das Gangliosid GQ1b auf. Bei den selteneren GBS-Varianten AMAN und AMSAN lassen sich nur in der Hälfte aller Fälle typische Antikörper etwa gegen GM1 und GD1a nachweisen. Deshalb sollte bei ungünstigen Verläufen auf solche Antikörper getestet werden. Bei Kindern ist eine Bedeutung dieser Antikörper als Prognosefaktor noch nicht erwiesen.

  • Bakterien

    Infektiologische Diagnostik

    Mikrobiologische und serologische Untersuchungen auf konkrete Krankheitserreger haben bei dem Guillain-Barré-Syndrom zwar keine therapeutische Auswirkung, allerdings können sie manchmal hilfreich sein. So deutet der Nachweis des Durchfallerregers Campylobacter jejuni wahrscheinlich, wenngleich nicht ausschließlich, auf die AMAN-Variante von GBS hin.

    Serologische Untersuchung bei GBS-Patient:innen haben gezeigt, dass Infektionen mit Campylobacter jejuni, dem Cytomegalievirus (CMV) und Mycomplasma pneumoniae signifikant häufiger als in der Kontrollgruppe vorkommen. Das spricht für einen kausalen Zusammenhang. Bei Kindern lässt sich häufiger als bei Erwachsenen eine vorangegangene Infektion oder Impfung als potentieller Auslöser für GBS identifizieren.

    Betont werden sollte allerdings, dass das absolute Risiko, etwa nach einer Campylobacter jejuni-Infektion an GBS zu erkranken, einer epidemiologischen Studie zufolge – trotz 100-fach erhöhtem relativen Risiko – mit nur 30,4 Erkrankungen pro 100.000 Infektionen eher gering ist.

  • Verfahren

    Bildgebende Verfahren

    Die Magnetresonanztomographie (MRT) und Sonographie werden zumeist eingesetzt, um andere ähnliche Erkrankungen auszuschließen.

    Bei Bedarf können mithilfe der MRT und der Sonographie die krankhaften Veränderungen an den Nervenwurzeln sichtbar gemacht werden. Sie werden manchmal eingesetzt, wenn Klinik und Elektrophysiologie keine eindeutige GBS-Diagnose erlauben.

    Immer mehr Publikationen berichten von Kindern mit GBS, bei denen keine Kontrastmittelaufnahme in den Nervenwurzeln beobachtet wurde, während die Liquor- und neurographische Untersuchungen keine Auffälligkeiten zeigten.

  • Skalpel

    Neurobiopsien

    Mit Biopsien lässt sich die Demyelinisierung der Nervenzellen direkt nachweisen, allerdings sind sie aufwändig und für die Patient:innen sehr unangenehm. Sie sind nur selten notwendig und werden nur durchgeführt, wenn sich anhand der klinischen und elektrodiagnostischen Kriterien, bildgebenden Verfahren und Laboruntersuchungen keine eindeutige Diagnose stellen lässt.

Differentialdiagnose1

Bei der Differentialdiagnose werden alternative Diagnosen anderer Polyneuropathien oder andere Ursachen für die aufgetretenen Nervenschädigungen ausgeschlossen, um die Diagnose eines GBS sicherzustellen. Eine korrekte Diagnose ist relevant für die therapeutische Entscheidung und den Erfolg des therapeutischen Ansprechens. Der Ausschluss erfolgt meist per klinischer und nur selten durch eine erweiterte Diagnostik.

Andere Ursache für GBS-ähnliche Symptome und Entzündungen der peripheren Nerven, die ausgeschlossen werden müssen:

  • intrakraniell: Hirnstammencephalitis
  • im Rückenmark: Infarkt, Myelitis, Kompression
  • an den Vorderhornzellen des Rückenmarks: Poliomyelitis durch Polioviren und andere Enteroviren wie das West-Nil-Virus
  • an den Nervenwurzeln: Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP)
  • an peripheren Nerven: Metabolische Störungen wie Hypermagnesiämie oder Hypophosphatämie, Zeckenparalyse mit aufsteigender schlaffer Lähmung, medikamenteninduzierte Neuropathie etwa durch Platinverbindungen, Porphyrie
  • an den neuromuskulären Endplaten: Botulismus, Vergiftung mit Organophosphaten (Insektizide und chemische Waffen)
  • an den Muskeln: Critical-Illness-Polyneuropathie und periodische Lähmungen

GBS

akute immunvermittelte Erkrankung des peripheren Nervensystems

schnell fortschreitende Muskelschwäche in Armen und Beinen oder anderer Stellen bei regionalen GBS-Varianten

Symptomverschlechterung < 4 Wochen

fehlende oder verminderte Muskeleigenreflexe

CIDP

chronische immunvermitelte Erkrankung des peripheren Nervensystems

fortschreitende oder rezidivierende, symmetrische, proximale und distale Muskelschwäche der oberen und unteren Extremitäten und Sensibilitätsstörungen an mindestens zwei Extremitäten

Symptomverschlechterung > 8 Wochen

fehlende oder verminderte Muskeleigenreflexe

Mehr zu CIDP

GBS

schnell fortschreitende und symmetrische Muskelschwäche der Extremitäten über einen kurzen Zeitraum, oft nicht fokal und weniger selektiv

Symptomverschlechterung innerhalb der ersten 4 Wochen nach Krankheitsbeginn, gefolgt von einer Phase mit gleichbleibendem Schweregrad der Symptomatik und einer Phase der Symptombesserung (mehrere Monate bis Jahre)

häufige sensorische Störungen, abgesehen vom rein motorischen GBS

MMN

langsam fortschreitende, fokale, asymmetrische atrophische Paresen der Extremitäten im Versorgungsgebiet von mindestens zwei Nerven;
wenn atrophische Paresen und weiteren Zeichen im Versorgungsgebiet nur eines Nervs vorhanden sind, kann nur eine mögliche Diagnose gestellt werden

Entwicklung der Paresen seit mindestens einem Monat (in der Regel länger als sechs Monate)

keine objektiven sensorischen Anomalien mit Ausnahme von leichten Anomalien des Vibrationsempfindens in den unteren Extremitäten

Mehr zu MMN

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  1. S1-Leitlinie Diagnostik bei Polyneuropathien. Verfügbar unter https://dnvp9c1uo2095.cloudfront.net/cms-content/030067_LL_Polyneuropat…. Letzter Zugriff: 14.01.2025.
  2. Van den Bergh PYK. et al. Eur J Neurol. 2021;28(11):3556–3583.
  3. Flink GR. et al. SOPs Neurologie 2018. Verfügbar unter https://www.thieme-connect.de/products/ebooks/lookinside/10.1055/b-0038…. Letzter Zugriff: 14.01.2025.
  4. Orphanet, Seltene Krankheiten. Verfügbar unter: https://www.orpha.net/de/disease. Letzter Zugriff: 14.01.2025.
  5. Gesellschaft für Neuropädiatrie: Diagnose und Therapie des Guillain-Barré Syndroms im Kindes- und Jugendalter, 4. Auflage, Version 1.0, verfügbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/022-008.html. Letzter Zugriff: 05.02.2025
  6. Mansour M. et al. Clin Case Rep. 2020 Jul 24;8(11):2199-2203.
  7. Van Doorn, Pieter A et al. Eur J Neurol. 2023;30(12): 3646-3674.
  8. Berciano, José et al. Clinical neurophysiology practice Nov. 2019;5:1-9.

C-APROM/DE/IG/0058